Hitlers Charisma

75 Jahre Kriegsende (II)

Neue Hitler-Filme, neue Hitler-Bücher – der Strom einschlägiger Veröffentlichungen will nicht abreißen. War – und ist? – Adolf Hitler also doch ein „Faszinosum“, wie es der frühere Bundestagspräsident Jenninger einmal in einer umstrittenen Rede ausgedrückt hat?

Zumindest hat er zeitweilig Millionen seiner Zeitgenossen fasziniert, begeistert, mit Hoffnung erfüllt. Allzu viele haben allzu lange an ihn geglaubt und seinem Regime gedient. Das ist eigentlich erstaunlich. Denn für die Rolle, die er sowohl vor als auch nach der NS-Machtübernahme gespielt hat, erscheint Hitler – auf den ersten Blick jedenfalls – kaum geeignet: ungebildet, gewöhnlich, mittelmäßig, lange Zeit ein erfolgloser Einzelgänger, im Grunde eine problematische Existenz. Wie nur konnte es einem wie ihm gelingen, auf die Öffentlichkeit eine so gewaltige Wirkung auszuüben?

Über alle Mittelmäßigkeit hinaus, so die Antwort des Historikers Ludolf Herbst, hatte Hitler zweifellos rhetorische und propagandistische Talente; er besaß, wenn man so will, ein genuines, authentisches Charisma. Allerdings war es Herbst zufolge keineswegs so, dass sich diese lange Zeit verborgen gebliebenen Fähigkeiten des späteren „Führers“ ab einem bestimmten Moment gleichsam spontan und unwiderstehlich Bahn gebrochen hätten. Vielmehr wurde der „Führer-Mythos“ im Laufe der 20er Jahre ganz bewusst konstruiert und inszeniert.

„Es ist die zentrale These dieses Buches, daß Hitler gemeinsam mit einem kleinen Kreis von Gefolgsleuten die Legende des charismatischen Führers erfand, um die messianischen Erwartungen der Menschen im Deutschland der krisengeschüttelten Zwischenkriegszeit für die NSDAP nutzbar zu machen. Die Legende des charismatischen ‚Führers’ war daher ein Coup, der als Mythos des Anfangs in die Propaganda des sogenannten Dritten Reiches paßte, in Hitlers Reden immer wieder aufgegriffen und auf diese Weise popularisiert wurde.“

Herbst bietet eine sachkundige, detaillierte Rekonstruktion dieses Vorgangs. Großen Wert legt er dabei auf die ersten drei Lebensjahrzehnte Hitlers. Sie zeigen einen Menschen, der noch keine klar erkennbaren Überzeugungen, geschweige denn eine Weltanschauung ausgebildet hat. Dennoch entwickelt Hitler in dieser Zeit Interessen und sammelt Erfahrungen, auf die er später zurückgreifen kann.

Seine Begeisterung für bombastisch-heroisch inszenierte Wagner-Opern beispielsweise schärft sicherlich sein untrügliches Gespür für politische Theatralik. Die eigentliche Politisierung Hitlers setzt Ende 1919 ein, doch erst nach 1923, nach seinem gescheiterten Putschversuch, beginnt die systematische Inszenierung des Führerkults. Sie richtet sich zunächst eher auf die zersplitterte völkisch-nationalistische Bewegung, für die Hitler zur Integrationsfigur wird, später greift sie dann auf die Gesellschaft als Ganze aus.

Hitlers Charisma war für den Aufstieg der Nazi-Bewegung von großer Bedeutung. Doch, so Ludolf Herbst, allein entscheidend war es nicht. Noch in der zweiten Hälfte der 20er Jahre halten sich der Mitgliederzuwachs und die Wahlerfolge der NSDAP in engen Grenzen. Erst im Zuge der Weltwirtschaftskrise gelingt der Durchbruch. Und auch er ist keineswegs ausschließlich der Wirkung Hitlers zu verdanken, sondern ebenso sehr der überaus modernen, schlagkräftigen Parteiorganisation, die in den Händen seines Nebenbuhlers Gregor Strasser liegt.

Für Herbst ist das ein zentraler Aspekt. Denn er zeigt, dass Charisma und bürokratische Organisation nicht, wie viele Historiker meinen, notwendig miteinander in Konflikt geraten müssen, sondern auch Synergieeffekte erzeugen können. Noch deutlicher wird dies nach der NS-Machtübernahme. Nun zieht das Regime in Sachen Führerkult alle Register. Weit davon entfernt, noch „genuin“ und „authentisch“ zu sein, ist Hitlers Charisma jetzt Teil eines diktatorischen Propagandasystems.

„Gewiß ist die Annahme erlaubt, daß der in Bild und Film erscheinende charismatische Führer ‚ankam’ und Akzeptanz fand, daß sich eine medial vermittelte ‚Fan-Gemeinde’ aufbaute, doch hierüber kann der Historiker … keine gesicherten Aussagen machen. Historiker, die dies dennoch tun, erweisen sich als letzte Opfer der nationalsozialistischen Propagandainszenierungen und ihrer Manipulationskunst.“

Ludolf Herbsts kluges Buch leistet historische Aufklärung. Das vermeintliche Faszinosum Adolf Hitler wird demontiert. Sein Aufstieg hat nichts Rätselhaftes oder Unerklärliches. Er ist das Resultat einer ausgefeilten und skrupellos eingesetzten politischen Technik.

Ludolf Herbst: Hitlers Charisma. Die Erfindung eines deutschen Messias. S. Fischer, 330 Seiten, € 22,95.

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