Der Kalte Krieg war immer auch ein Propaganda-Krieg, ein Krieg um die Köpfe der Menschen in Ost und West. Auch die Literatur spielte in dieser Auseinandersetzung eine wichtige Rolle. Doktor Schiwago, der große Roman des russischen Autors Boris Pasternak, ist sicherlich das bekannteste Beispiel. Peter Finn und Petra Couvée haben jetzt eine umfassende Darstellung der „Affäre Schiwago“ vorgelegt.
Boris Pasternak galt als einer der talentiertesten Lyriker der Sowjetunion, bevor er sich an Doktor Schiwago, sein großes Roman-Epos, wagte. Seit Ende des Zweiten Weltkriegs arbeitete er daran, zehn Jahre insgesamt. In den Jahrzehnten zuvor hatte der Autor zeitweilig die bolschewistischen Machthaber unterstützt, sogar huldigende Gedichte auf Lenin und Stalin verfasst. Aber die Terror-Exzesse seit Ende der 30er Jahre desillusionierten ihn. Nur mit Glück überlebte er die Stalin-Ära – wohl auch deshalb, weil der Diktator ein eigentümliches, zwiespältiges Interesse an seiner Person gefasst hatte und ihn bewusst verschonte. Insofern ähnelt sein Schicksal auf frappierende Weise dem des Komponisten Schostakowitsch.
Pasternaks Roman ist eine Art Selbstverständigung, eine Aufarbeitung seines eigenen Lebens vor und nach der Oktoberrevolution. Der Protagonist Juri Schiwago fungiert gleichsam als alter ego des Autors. Pasternak schrieb an seinem Manuskript stets mit der Befürchtung, dass er es in seinem Heimatland nicht würde veröffentlichen können. Als sich seine Vermutung zu bestätigen schien, tat er etwas, was seit Jahrzehnten kein sowjetischer Autor mehr gewagt hatte: Er gab die Rechte für das Buch an einen westlichen Verlag, Feltrinelli in Mailand. Giangiacomo Feltrinelli, pikanterweise damals Mitglied der Kommunistischen Partei Italiens, sorgte dafür, dass das Buch schon bald in mehreren Sprachen im Westen erscheinen konnte. Erst danach trat der amerikanische Auslandsgeheimdienst CIA auf den Plan.
Die CIA ließ – was sie bis heute bestreitet – eine in blaues Leinen gebundene russische Ausgabe drucken und fand viele Mittel und Wege, sie in die Sowjetunion zu schleusen. Später brachte sie den Roman auch als Miniatur-Paperback in Umlauf, was den Schmuggel erleichterte. Das Interesse des amerikanischen Geheimdienstes gerade an diesem Buch ließ sich nicht allein aus dem Umstand erklären, dass Pasternaks Werk in der Sowjetunion verboten war. Die CIA unterstützte damals – und noch bis Mitte der 60er Jahre – vornehmlich antikommunistische Projekte, die im eher linken politischen Spektrum angesiedelt waren. Sie war überzeugt, dass nicht die antikommunistischen Hardliner auf der Rechten, sondern die differenzierter argumentierenden Linken die eigentliche Herausforderung der dogmatischen Gralshüter in Moskau darstellten. In diesen Kontext passte Doktor Schiwago vortrefflich.
Als Pasternaks Roman der Literatur-Nobelpreis zuerkannt und der Autor von den Moskauer Machthabern genötigt wurde, die Ehrung abzulehnen, war jedermann klar, dass diese Schlacht des Kalten Krieges zugunsten des Westens entschieden war.
Es war eine bezeichnende und zugleich unnötige Niederlage Moskaus. Pasternaks Roman war zwar gewiss ketzerisch, scherte sich nicht um die Dogmen des sozialistischen Realismus oder sonstige ideologische Vorgaben. Aber er war weder antisowjetisch noch antikommunistisch. Kein Geringerer als der einstige Parteichef Nikita Chruschtschow hat das eingeräumt. Als er nach seiner Entmachtung endlich Zeit fand, das Werk gründlich zu lesen, bedauerte er das Verbot wie auch die begleitende Kampagne gegen den Autor.
Pasternak selbst war die Aufregung um den Roman und seine Person nicht geheuer. Er argwöhnte, dass sein Werk – entgegen seinen Intentionen – für politische Zwecke missbraucht werde.
Peter Finn und Petra Couvée haben für ihr Buch über die Schiwago-Affäre unzählige Archive aufgesucht, weitläufigste Recherchen betrieben. Das erlaubt ihnen eine eindrucksvolle, detailgenaue, stets spannende Schilderung der Vorgänge. Anders als der Buchtitel vermuten lässt, spielt allerdings der Kampf zwischen dem Kreml und der CIA nur eine untergeordnete Rolle. Die große Stärke der Darstellung liegt eher darin, dass sie einen profunden Beitrag zu Pasternaks Biografie leistet, das repressive, bedrohliche kulturelle Klima des Sowjetstaates fühlbar macht und – vor allem – die wechselvolle Geschichte eines Romans von epochaler Bedeutung erzählt.
Peter Finn / Petra Couvée: Die Affäre Schiwago. Der Kreml, die CIA und der Kampf um ein verbotenes Buch. Aus dem Englischen von Jutta Orth und Jörn Pinnow. Theiss Verlag, 384 S., € 29,95